Tramhaltestellen: Ab 2023 behindertengerecht

  • Die erste behindertengerechte Tramhaltestelle der Region in Reinach
    entpuppt sich als Autofalle: Bisher gerieten ein Dutzend Autos von der
    Fahrbahn. Bald könnte sich das Schauspiel auch in der Stadt Basel
    wiederholen. Ist der Versuch gescheitert?

    Es war ausgerechnet ein Behindertentransporter, dem die neue,
    behindertengerechte Tramhaltestelle Reinach Dorf als Erstem zum
    Verhängnis wurde. Er geriet über die erhöhte Fahrbahnkante, schlug auf
    dieser auf und blieb mit zwei Rädern in der Luft hängen. Das berichten
    Bauarbeiter, die mit der Umgestaltung des Reinacher Ortszentrums
    beschäftigt sind. Sie waren es auch, die dem Fahrzeug wieder auf alle
    viere halfen.

    Dabei blieb es aber nicht: Mitte August ging die Haltestelle in
    Betrieb – seither seien mindestens ein Dutzend Fahrzeuge von der
    Fahrbahn geraten, schätzen die Arbeiter. Es sei zurzeit ihr Nebenjob,
    Autos zu bergen, «die von der Kante gefallen sind», witzeln sie. Und
    «von der Kante gefallen» ist wörtlich zu verstehen. Denn Reinach Dorf
    ist die erste Tramhaltestelle des Typs «Zeitinsel» in der Region (siehe
    Kasten), die dem Behinderten-Gleichstellungsgesetz entspricht. Ihr
    «Perron» ist 27 Zentimeter hoch. So können Rollstuhlfahrer ebenerdig ins
    Tram gelangen. Zuvor entsprach die Kantenhöhe derjenigen eines normalen
    Trottoir-Rands, der für Autos überwindbar ist.

    Die Selbstunfälle in Reinach könnten auch in Basel zur Regel werden.
    Denn Reinach Dorf hat Pilotcharakter. Bis 2023 müssen alle Haltestellen
    behindertengerecht umgebaut sein – auch die «Zeitinseln» in Basel-Stadt.
    Bisher gibt es auf Stadtgebiet drei davon mit erhöhter Fahrbahn, jedoch
    noch mit normaler Kantenhöhe von 15 bis 18 Zentimetern: beim
    Riehenring, beim Musical Theater und beim Voltaplatz. Auch sie sollen in
    den kommenden Jahren umgebaut werden – nach dem Vorbild Reinachs.

    Bei der Baselbieter Bau- und Umweltschutzdirektion (BUD) will man
    nicht von einem gescheiterten Versuch sprechen. Projektleiter Axel
    Mühlemann führt zumindest einen Teil der Selbstunfälle auf die noch
    fehlenden Markierungen zurück. So sei das Tramtrassee noch nicht als
    Sperrfläche gekennzeichnet. «Dann prüfen wir auch eine Sicherheitslinie
    mit erhöhtem Profil. Diese gibt akustische Signale, wenn man sie
    überfährt.» Die BUD ist nach den Vorfällen aktiv geworden. So soll das
    Anbringen der Markierungen vorgezogen werden, verspricht Mühlemann.

    TCS fordert Katzenaugen

    Auch bei den Haltestellen Riehenring, Musical Theater und Voltaplatz
    in Basel hat es schon gekracht. So verzeichnete die Polizei in den
    vergangenen fünf Jahren sechs Unfälle wegen der Ränder. In einem Fall
    wurde eine Person schwer verletzt. Die Behörden haben darauf reagiert.
    «Bei den Rampenauffahrten sind nun Katzenaugen angebracht», sagt
    Adrienne Hungerbühler von der Mobilitätsplanung beim Bau- und
    Verkehrsdepartement. «Und die Sicherheitslinie ist mit sogenannten
    Rubbel-Markierungen verstärkt worden, wie man sie von Tunnels her kennt.
    Die Autofahrer hören es, wenn sie die Linie überfahren.»

    Hansjörg von Ins, Centerleiter beim TCS Sektion Basel in Füllinsdorf,
    hält Warnhinweise wie Katzenaugen für die richtige Strategie. «Diese
    Haltestellen mit dem hohen Rand sind neu, die Menschen müssen sich daran
    gewöhnen. Deshalb empfinde ich es nur als fair, die Autofahrer mit
    besonderen Massnahmen aufmerksam zu machen, etwa mit den angesprochenen
    Reflektoren.»

    Eine andere Option besteht darin, das Tramtrassee mit Gras
    aufzufüllen, wie das an der Voltastrasse der Fall ist. Dort kam es
    bisher zu keinem einzigen Unfall. In Reinach sei das Bepflanzen jedoch
    nicht möglich gewesen, heisst es bei der BUD.

    bz 03.10.2013