Trama in Nummer 3 (-minu)

  • -minu

    Trama in Nummer 3

    Es war ärgerlich.
    Das ist es oft. Wir
    haben zwar den
    dichtesten Tramnetzbetrieb
    Europas.
    Aber wir haben
    auch den
    meisten Stress: DENN MAN
    WEISS NIE, WO DER SCHLITTEN
    ANHÄLT.
    Wir stehen auf dem Aeschenplatz.
    Und diesmal hält der
    3er hinten. Vor ihm steht nämlich
    der 15er. Und ich auf der
    Höhe des 15ers. Aber ich muss
    ja in den 3er. Also spulen wir zurück.
    Spulen ist das falsche Wort. Ich
    eiere. Denn: Rutschgefahr, spiegelglattes
    Eis, und das, was der
    Wetterfrosch mit sonniger Miene
    «GRAVIERENDER WINTEREINBRUCH
    » genannt hat.
    Endlich bin ich beim Türknopf
    des 3ers angekommen. Da bimmelt
    es. Der 15er weit vorne
    fährt los. Und der 3er hinter ihm
    her. Ich stehe vor dem Leeren.
    Die Knopftür ist nun vorne.
    WENN DIESE SELTSAME JUSOTANTE
    GIFTELT, IHR FEINDBILD
    SEI NOCH IMMER EIN
    CHEFREDAKTOR, DANN
    FÄHRT SIE NIE TRAM. SONST
    HÄTTE SIE GANZ ANDERE
    FEINDBILDER! UND WÜRDE
    DORT ZUR POSITIONS-KONTROLLE
    AUFRUFEN: JEDES
    TRAM HAT SICH AN SEINER
    HALTESTELLE RICHTIG ZU POSITIONIEREN.
    NICHT EINFACH
    MAL LINKS. DANN WIEDER
    RECHTS. SONST BLEIBT DER
    BÜRGER DRAUSSEN IN DER
    KÄLTE STEHEN!
    Also: Ich eiere zurück. Drücke
    total verschwitzt den Eintrittsknopf.
    Dann lasse ich mich erschöpft
    auf eine der Bänke knallen.
    TÜRE – RÄDÄZSCHHHH! – zu.
    SCHRECKLASSNACH! In der
    Aufregung habe ich kein Ticket
    gelöst. OHGOTTOHGOTT!
    Wie angefroren. Natürlich
    hätte ich jetzt nochmals aussteigen
    können. Zeit ist genug.
    Denn aus unerklärlichen Gründen
    steht der 3er gute zwei Minuten
    wie angefroren auf den
    Schienen. Aber ich schaue mich
    um. Und da ist keiner, der nach
    Kontrolle aussieht. Es sind überhaupt
    wenige Leute im Tram.
    Doch wen wundert es, wenn das
    Tram sie nie einsteigen lässt?
    (JAWOHL, FRÄULEIN JUSO –
    DAS SIND DIE PROBLEME,
    WELCHE DEM MENSCHEN IN
    DIESER STADT AN DIE EIER
    GEHEN!)
    Ganz weit vorne sitzt eine Kollegin
    aus der Redaktion. Sie blättert
    im Gratisblatt. Und rümpft
    die Nase.
    Dann sind da zwei Hausfrauen
    mit prallvollen Taschen von
    Aldi. Überdies hockt da ein älterer
    Herr in Laufschuhen und mit
    seinem Rucksack auf dem Nebensitz
    (meiner Meinung nach
    müsste jeder sitzende Wandersack
    Volltarif bezahlen!). Dann
    sind da noch zwei serbische
    Mädchen. Bildschön. Und aufgemacht,
    als müssten sie sofort auf
    den Laufsteg. Der Wandersmann
    mit dem AHV-Ticket
    schaut sie mit seinen roten Veltliner-
    Augen so verliebt an, wie er
    wohl auch den Sonnenuntergang
    am Matterhorn bewundert
    – man spürt die Sehnsucht im
    Unerreichbaren.
    Die beiden Mädchen reden übrigens
    auf ihre Handys ein. Und
    sie tun dies in einer Sprache, die
    mir so fremd ist wie der Rucksack
    neben dem Laufschuhherrn.
    Es hat noch ein paar andere Passagiere.
    Etwa den verzottelten
    Rumänen mit einem Gesicht so
    durchfurcht wie das Faltengebirge
    und einer Handorgel zwischen
    den Fingern, aus der er
    eine Melodie rausdrückt. Es ist
    ein fröhliches «Jingle Bells».
    Und irgendwie lösen diese lustig
    gefiepsten Töne meine innere
    Spannung. Vom Weihnachtsmarkt
    funkeln die Lichter. Ein
    Kind lässt einen Ballon himmelwärts
    sausen. UND ALLES IST
    GUT. Nur meine Kollegin schaut
    noch immer ins Gratisblatt – besonders
    jetzt, wo der Rumäne
    mit einem alten Kartonbecher
    bei allen einkassieren will.
    Der Wandersmann guckt mit
    grimmigem Blick aus dem Fenster,
    als würde über der Stadt ein
    Gewitter aufziehen – und die
    serbischen Mädchen lachen dem
    Rumänen fröhlich ins Gesicht.
    Sie zucken bedauernd die Schultern.
    Vermutlich sprengen ihre
    Handy-Telefonrechnungen alle
    Möglichkeiten eines Obolus für
    einen jingle-belligen Musiker.
    Irgendwie kann ich nie Nein sagen.
    Innocent behauptet, diese
    schreckliche Eigenschaft würde
    uns noch in den Ruin führen. Da
    er dies schon seit 42 Jahren behauptet,
    muss der Ruin nun aber
    knapp vor der Türe stehen. Und
    da kommt es auf einen Fünfliber
    auch nicht mehr an.
    Ich werfe diesen ins verschmutzte
    Becherchen. Und der alte Rumäne
    hat plötzlich ein Augenstrahlen,
    dass ich am liebsten
    nochmals nachgedoppelt hätte.
    Aber ich geniere mich vor meiner
    Kollegin, die nun vom Gratisblatt
    aufschaut. Und mein Tun
    fassungslos beobachtet.
    Gute Nacht. In diesem Moment
    erhebt sich doch tatsächlich einer
    der anonymen übrigen Fahrgäste.
    «Bitte Billette vorweisen
    …»
    JA DANN ALSO GUTE NACHT!
    Die paar Leutchen sind schnell
    kontrolliert. Der Mann schaut
    nun misstrauisch auf das Ticket
    des Musikers. Dann gibt er es
    ihm brummend zurück, während
    ich noch immer so tue, als
    würde ich hektisch nach meinem
    Fahrschein suchen. Meine
    Kollegin von der Nachrichten-
    Redaktion schaut nun sehr gespannt.
    Sie wittert eine interne
    Sensationsmeldung.
    Ich fühle eine Hand an meinem
    Hosensack. Das Tram ruckt
    kurz. Die Türen öffnen sich.
    «Kommen Sie bitte mit mir
    raus», hüstelt der Kontrolleur.
    Und zischt mir zu. «Das ist mir
    sehr unangenehm …»
    NA DANKE. UND MIR ERST!
    Natürlich versucht unsereins das
    Gesicht zu wahren. «Ich hatte
    doch irgendwo dieses verdammte
    Billett …» Da spüre ich ein Papierchen
    in der rechten Tasche.
    Es ist ein Ticket mit Tageskartentarif:
    «DA IST ES JA!»
    «Gott sei Dank!», grinst nun der
    Kontrolleur. «Das wäre ja affenpeinlich
    gewesen!» Und dann:
    «Das Ticket habe ich auch schon
    mal gesehen – bedanken sie sich
    beim Rumänen!»
    Da stand ich in der eisigen Kälte.
    Und spürte fast so etwas wie
    Weihnachtsvorfreude.
    Der Kontrolleur hüpfte auf einen
    der grünen Schlitten, die vis-àvis
    angefahren waren. Und eine
    Hand tippte mir auf die Schulter:
    «Kann ich mein Ticket wiederhaben?
    »
    Drei Minuten später fuhr ein 3er-
    Tram in die Gegenrichtung. Und
    schon ertönte ein fröhliches «Jingle
    Bells» hinter den Fenstern.
    Als ich zu Hause Innocent die Geschichte
    erzählte, knurrte er:
    «Du führst uns noch in den
    Ruin …»

    (BaZ 6.12.10)

  • Soso ... -minu stand am Aeschenplatz und dort nahm das ganze TRAMA seinen Beginn ... ich frag mich, ob -minu wirklich Tram fährt, den ansonsten würde er wissen, dass die beschriebene Konstellation nur an der Haltestelle Bankverein möglich gewesen ist ... aber eben ... blühende Fantasien von Journalisten .... :D

  • Da es sich hier um eine Glosse handelt ist natürlich "blühende Fantasie" nicht unangebracht.

    Übrigens fährt -minu jeden Tag Tram. Nämlich im Anhänger Nr. 1453 (zuhinterst).

    (Werbung für: Ramstein Optik)

    Weitere Glossen zum Tramgeschehen gibts hier:

    ;)

  • Meine Mutter hat mir oft gesagt, meine Geburt sei die heisseste Sache des letzten Jahrhunderts gewesen.

    Tatsache ist, dass dieser Juni 1947 punkto Temperaturen hundsmässig war.
    Als sie am 16. Juni meinen Vater auf dem Sechsertram beim
    Barfüsserplatz in Basel anhielten: "Du hast einen Sohn bekommen!", stieg
    das Thermometer auf 32 Grad. Vielleicht war die Hitze ein Omen? Ich
    weiss es nicht.

    Jedenfalls soll mein Vater den Tramwagen samt Passagieren stehen
    gelassen haben und sofort ins Frauenspital gejagt sein. Hier zeigte man
    ihm ein traumschönes Kind in rosa Wolle.

    "Hat er nicht wundervolle Augen?" lächelte meine Mutter stolz.
    "Er hat grossartige Skifahrer-Beine!" grabschte mein Erzeuger die Weichteile ab.
    "Hauptsache es ist ein Bub - Buben haben's einfacher im Leben", meinten beide.

    Sie sollten sich getäuscht haben. Buben, die rosa auf die Welt kommen, haben's nie einfach!

    -minu

    http://www.minubasel.ch