100'000 Gegenstände haben Schweizer 2013 in Zügen und Bahnhöfen liegen lassen - vom Rollstuhl über Sexspielzeug bis zur Urne. Nur wenig mehr als die Hälfte davon holten sie ab.
Taschen, Koffer, Kleider und Elektrogeräte: Im Keller des Fundsachenverkauf.ch in Zürich stapelt sich die Ware auf Holzpaletten und in Kisten mit Aufschriften wie «Spielzeug», «Schmuck», «iPhone» oder «Erotik». Hier landet, was in der Schweiz in Zügen und Postautos sowie an Bahnhöfen und Flughäfen liegen geblieben ist und nicht abgeholt wurde.
Die Menge ist riesig: Rund 98'800 vergessene Gegenstände haben allein die SBB im letzten Jahr eingesammelt. Je nach Wert haben die Besitzer zwischen einem und drei Monaten Zeit, sie abzuholen. 51'300 Artikel fanden so den Weg zurück. Der Rest ging an Roland Widmer und sein 17-köpfiges Team bei Fundsachenverkauf.ch. Davon kümmern sich allein drei um technische Geräte wie Handys oder Fotoapparate. «Sogar noch eingeschweisste Laptops inklusive Quittung haben wir bekommen», sagt Lars Wiedemann, der Leiter Technik.
Beinprothese und goldenes Handy
Am meisten gehen Kleider verloren. Gleich darauf folgen Handys: Fast 12'000 Mobiltelefone sammelten die SBB vorletztes Jahr ein. 2013 waren es voraussichtlich gleich viele, sagt Sprecherin Franziska Frey. Darunter war auch ein goldenes iPhone im Wert von 4900 Franken, dessen Apple-Zeichen mit Brillanten nachgebildet war. «Das ist aber fast billig im Vergleich zu der Quinting-Uhr, von der auch Ex-Bundesrat Moritz Leuenberger eine trägt», sagt Widmer. Sie kostet neu 36'000 Franken. Im Laden im Zürcher Quartier Wollishofen gibt es sie für 11'990 Franken.
In den Regalen dort stehen vom letzten Jahr auch eine chinesisch sprechende Puppe, eine Beinprothese, seit Ende Dezember Hockeyschläger des NHL-Spielers Ryan Getzlaf und sogar ein Rollstuhl. «Wer den vergessen hat, würde ich schon gerne wissen», sagt Widmer. Sonst wundert er sich aber über fast nichts mehr - selbst an die Ganzkörper-Latexkostüme, die Dildos und die vielen Pornofilme hat er sich gewöhnt.
Urne und Juwelen
Eines wird ihm von 2013 aber doch in Erinnerung bleiben: «Ein Romand hat die Urne seines Vaters im Zug vergessen.» Die Asche hatte er auf dessen letzten Wunsch hin auf dem Meer verstreut. Auf dem Heimweg in die Schweiz liess er dann die Urne stehen. «Ich konnte den Mann ausfindig machen und rief ihn an. Doch er wollte sie nicht zurück.»
Einen Teil der Ware bietet Widmer auch im Internet an, etwa ein Banknotenzählgerät oder ein Juwelenarmband für 17'000 Franken. Dass so viele Leute richtig teure Gegenstände vergessen und nicht abholen, erstaunt Widmer immer noch. «Viele denken wohl, das habe eh jemand gestohlen.» Hier habe sein Job ihn aber etwas Schönes gelernt: «Die Menschen sind erstaunlich ehrlich.»
Quelle: 20 Minuten (7.1.14)