Die weltweite Finanzkrise zwingt auch gut abgesicherte Bahn-Lieferanten des öffentlichen Nahverkehrs zu neuen Produktideen. Der französische Alstom-Konzern, mit Siemens und Bombardier einer der drei großen Spieler im Weltmarkt, entwickelt eine Billig-Straßenbahn, die bis zu 30 Prozent unter dem Kostenniveau bisher verkaufter Bahnen liegen soll.
WIEN. „Wir arbeiten daran“, bestätigte Alstom-Bahnchef Philippe Mellier auf einem Nahverkehrskongress in Wien.
Im Moment müssen sich Konzerne wie Alstom oder Siemens im Verkehrsbereich nur wenig Gedanken über ihre Auftragslage machen. Die weltweit aufgelegten Konjunkturprogramme dienen häufig der Finanzierung von Infrastruktur-Projekten, was vor allem Vorhaben im Nahverkehr einschließt. „Unsere Branche ist weitaus weniger von der Krise betroffen, wir haben Glück“, sagte Alstom-Vorstand Mellier in Wien.
In zwei bis drei Jahren muss sich die Branche jedoch darauf einstellen, dass sich der Wind dreht. Dann wird in den öffentlichen Haushalten ein Sparkurs einsetzen, um die stark wachsende Verschuldung einzufangen. „Das werden auch wir zu spüren bekommen“, heißt es beispielsweise im Daimler-Konzern, der mit seiner Bussparte im öffentlichen Nahverkehr vertreten ist. Die Kommunen und regionale Verkehrverbünde, meistens die Besteller von Bussen und Bahnen, müssten dann Neuanschaffungen öfter zurückstellen.
Alstom hofft, dass bis dahin die neue Billig-Straßenbahn fertig ist. Damit das angestrebte Sparziel von bis zu 30 Prozent erreicht werden kann, müssen die Franzosen überall mit ihren Plänen zur Kostensenkung ansetzen - nicht nur am Fahrzeug, sondern auch bei der Energieversorgung und bei der Trassenführung. Alstom bietet schon jetzt Straßenbahnen an, die ihren Strom nicht mehr aus einer Oberleitung, sondern aus den Schienen beziehen - ein möglicher Ansatz, um die Kosten in den Griff zu senken.
Für die gesamte Branche zählt der Straßenbahnbau zu den lukrativsten Bereichen. Weltweit werden jährlich etwa zwei Milliarden Euro für neue Straßenbahnen ausgegeben. Der europäische Herstellerverband Unife schätzt, dass die Verkaufszahlen für Straßenbahnen jährlich um 3,7 Prozent wachsen werden, der für U-Bahnen lediglich um 2,7 Prozent.
Auch trotz der aktuellen Krise glauben die Bahnhersteller, dass sie dauerhaft auf Wachstum setzen können. „Vielleicht werden wir in diesem Jahr bei Plus-Minus-Null landen, aber schon bald wir wieder mit zwei bis drei Prozent jährlich zulegen können“, glaubt Alstom-Vorstand Mellier. Als einen seiner wichtigsten Helfer sieht er den weltweit steigenden PKW-Bestand an. Den Städten bleibe gar nichts anderes übrig, als die Autos aus den Zentren zu verbannen. Weltweit schärfere Umweltschutzvorschriften wie etwa beim Kohlendioxid würden die Nahverkehrsbranche ebenfalls stützen.
Mit der Billig-Straßenbahn will Mellier zudem ganz neue Kunden ansprechen. Bislang sind Straßenbahnen erst richtig effizient, wenn eine Stadt mehr als 200 000 Einwohner hat. Mit einem erfolgreichen Billigkonzept kann der französische Bahn-Konzern auch kleineren Städten sein Tram-Konzept verkaufen.
Das ist keine gute Nachricht für die Auto-Konzerne. Alstom würde damit in einen Bereich vorstoßen, der bislang üblicherweise Busherstellern wie Daimler und MAN alleine vorbehalten ist.
Quelle: handelsblatt.com
Bildlegende: Es geht auch billiger: Die Straßenbahnen des französischen Alstom-Konzern sollen in Zukunft rund 30 Prozent billiger sein.