Der klassische Tramzug ist bald passé

  • Strassenbahn
    Ihren Anfang hat die Geschichte der Strassenbahn mit unmotorisierten Wagen genommen.
    Mit dem Abschied der letzten Anhängewagen aus dem Alltag der Basler Verkehrs-Betriebe (BVB) stirbt diese Fahrzeuggattung bei den Schweizer Trams aus.
    Sie boten Raum für Avantgarde und Subversion.

    In Basel hatten die Anhängewagen länger Bestand als in anderen Schweizer Tramstädten.
    Nun ist ihre Zeit auch am Rheinknie abgelaufen.

    Heute ist das Tram ein Wurm, einst war es eine Kiste.
    Heute ist das Tram ein Wagen, früher war es ein Zug.
    Am Anfang standen im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts Strassenbahnen, auf deren Schienen erst Pferde,
    dann auch Dampflokomotiven einzelne Wagen durch die expandierenden Städte zu ziehen begannen.

    Es folgte um die Wende zum 20. Jahrhundert die Elektrifizierung und mit ihr beim Tram die Abkehr vom Zug aus der natürlichen
    oder konstruierten Maschine vorne und dem Wagen für Passagiere hinten.
    Der Antrieb fand unter dem Boden des Personenwagens Platz, das Tram war zum einzelnen Tramwagen geworden.

    Annehmlich, nicht notwendig In der Schweiz, wo die Städte den Radius der Gehdistanz noch nicht ganz gesprengt hatten,
    war die Klientel der Strassenbahn gut betucht, die Fahrt mit ihr eine Annehmlichkeit, keine Notwendigkeit.
    Entsprechend waren die Frequenzen an Sonntagen höher als unter der Woche, im Sommer grösser als im Winter.
    So kam der unmotorisierte Wagen oft auf dem Umweg über den «Sommerwagen» wieder ins Spiel.
    Ohne Scheiben, nur mit Vorhängen ausgestattet, sorgte er an Sommersonntagen hinter den Triebwagen für Verstärkung im innerstädtischen Verkehr.

    Mit den Stadterweiterungen vor und nach dem Ersten Weltkrieg verlagerten sich die Nachfragespitzen auf die Werktage.
    Anhängewagen, die sich äusserlich kaum von ihren motorisierten Pendants unterschieden,
    sorgten morgens, mittags und abends dafür, dass sich die Kapazität bei gleich viel Kursen verdoppeln liess.
    Der Tramzug, wie er 100 Jahre Bestand haben sollte, war geboren.
    Mit ihm wurde das erste Kapitel einer Geschichte der Rationalisierung geschrieben,
    an deren Ende dieses Ensemble wieder aufgelöst werden sollte.

    Die Tramzüge wurden länger – in Basel zogen Triebwagen bis zu vier Anhängewagen.
    In den 1930er und 1940er Jahren setzten sich vierachsige Grossraumwagen durch,
    in denen sich jene Hundertschaft Passagiere unterbringen liess,
    die zuvor mit Ach und Krach in einem Zug aus zwei zweiachsigen Wagen Platz gefunden hatte.
    Bald folgten vierachsige Anhängewagen, jene Exemplare, die zu Begleitern erst von gleich grossen,
    später auch von sechsachsigen, mit Gelenken ausgestatteten Zugfahrzeugen wurden.

    Hinten war manches anders

    Nun ist ihre Zeit auch in Basel abgelaufen, wo diese Betriebsform länger Bestand hatte als in den anderen Schweizer Tramstädten.
    Vorbei sind die Zeiten, in denen die Kapazitäten der Tramkurse durch das An- oder Abhängen von Anhängewagen im Tagesverlauf
    möglichst präzise an die Nachfrage angepasst wurden.
    Optimierungen legten den Verzicht auf das dafür nötige Personal unter Inkaufnahme von zeitweiligen Überkapazitäten nahe,
    und das Tram wurde durch die neuste Tatzelwurm-Fahrzeuggeneration zum zweiten Mal in seiner Geschichte wieder zum Tramwagen.

    Mit dem Verschwinden der ewigen Nummer zwei in den klassischen Tramzügen verschwindet auch ein Raum,
    in dem fern vom Wagenführer Platz war für Avantgarde und Subversion:
    Für die Fahrt hinten im Anhängewagen mussten die Billette früher am Automaten gelöst werden; vorne harrte der Kondukteur länger aus.
    Hinten im Zug fanden Strassenmusikanten ihre rollende Bühne.
    Und ebenfalls hinten fanden Fussball-Hooligans mit den leicht zum Schwanken zu bringenden Wagen ohne Motor ein Objekt,
    an dem sie ihr Missverständnis des öffentlichen Raums als Robinsonspielplatz ausleben konnten.

    Ganz zu Ende wird dieser Teil der Geschichte nicht sein: 20 Anhängewagen bleiben als Reserve im BVB-Bestand – unter anderem
    für Extrafahrten zu Fussballspielen.

    NZZ 04.09.2015

    Anmerkung zum letzten Satz: Woher stammt denn diese Information?

  • Den Artikel muss man wohl im zeitlichen Kontext interpretieren,
    Wenn da die Rede vom Ende der 2-Teiligen Fahrzeuge ist.