Fahrzeugsicherheitssysteme / Fahrerassistenzsysteme

  • Seit einigen Tagen ist die Straßenbahn "Jörg Syrlin" mit der Fahrzeugnummer 47 als Versuchsträger für aktive Fahrzeugsicherheitssysteme auf der Ulmer Linie 1 unterwegs. Das teilt der Pressesprecher der Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm (SWU), Bernd Jünke mit.

    Demnach will der Fahrzeughersteller Siemens in Zusammenarbeit mit der SWU Verkehr GmbH erproben, inwieweit Komponenten aus dem Automobilbereich sich auch für den Einsatz auf Schienenfahrzeugen eignen. Dazu wurde Tram Nummer 47 mit Sensoren ausgerüstet.

    Sichtbar sind die Sensoren durch drei Aussparungen an der Fahrzeugfront. Weitere Umbauten am Fahrzeug sind während der mehrmonatigen Testphase nicht vorgesehen. "Die SWU Verkehr unterstützt Siemens gerne dabei, das System unter realen Betriebsbedingungen zu testen. Ziel des Versuchs ist es, neue Technologien zu entwickeln, die die Straßenbahnen noch sicherer machen und Unfälle vermeiden helfen", erläutert Ingo Wortmann, Technischer Geschäftsführer der SWU Verkehr.

    Fahrer-Assistenzsysteme nehmen mit Hilfe von Sensoren das Fahrzeugumfeld wahr und interpretieren es. So können gefährliche Situationen in Verbindung mit Radfahrern, Autos oder umgestürzten Bäumen frühzeitig erkannt werden. Der Fahrer erhält dann, wie beim Pkw, einen Warnton.

    Quelle: swp.de

  • Rückblick März 2013: Am Universitätsklinikum fährt eine Straßenbahn
    der Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main (VGF) einer anderen Bahn, die
    kurz nach dem Anfahren an der Haltestelle nochmals bremsen musste, auf.
    Es gibt 22 zum Glück nur leichtverletzte Fahrgäste, die beiden
    Fahrzeuge entgleisen zwar nicht, werden aber schwer beschädigt.

    Um solche Unfälle zukünftig zu vermeiden, hat sich der
    Fahrzeughersteller Bombardier Transportation, dessen U- und
    Straßenbahnen in Frankfurt eingesetzt werden, bereits Ende 2012
    entschlossen, technische Lösungen zur Kollisionsvermeidung für
    Straßenbahnen zu entwickeln. Nach Analyse möglicher Szenarien und
    verschiedener Technologien fiel Anfang 2013 die Entscheidung, ein auf
    Straßenbahnen zugeschnittenes und betriebsfähiges Assistenzsystem zur
    Kollisionswarnung zu realisieren. Hierfür musste ein System entworfen
    werden, das in der Lage ist, den Fahrweg vor der Bahn auf Hindernisse
    abzusuchen und deren Lage sowie Bewegungsrichtung relativ zum Fahrzeug
    zu bestimmen. Mit Hilfe dieser Daten kann das System dann die
    Kollisionsgefahr bewerten. Dabei sind die Ansprüche an ein solches
    System enorm: Zum einen muss es leicht in schon eingesetzte Fahrzeuge
    integrierbar sein und möglichst aus Standard-Komponenten bestehen. Zum
    anderen soll die Erweiterung um zusätzliche Funktionen möglich sein.
    Ausgehend von diesen Anforderungen hat Bombardier gemeinsam mit seinem
    Technologiepartner, dem Austrian Institut of Technology (AIT), die Idee
    für ein Stereovision-Konzept für Straßenbahnen entwickelt. Als
    Entwicklungspartner für die Bedienung und praktische Erprobung des
    Systems konnte die VGF gewonnen werden.

    Mitte 2013 wurde ein Prototyp in einem Straßenbahn-Wagen des
    Frankfurter Typs „S“ auf dem Bombardier-Werksgelände in Bautzen
    getestet. Im Vordergrund des Prototypen-Tests stand die Frage, ob das
    Vorhaben prinzipiell und alltagstauglich verwirklicht werden kann. Nach
    den Tests wurde die sogenannte Stereovision-Technologie forciert und
    steht jetzt kurz vor ihrer ersten Bewährungsprobe im regulären
    Fahrgastbetrieb.

    Zweifach sieht besser
    Das Bombardier-System basiert auf
    dem Prinzip des Stereosehens. Hierbei werden zwei Bilder der gleichen
    Szene, die unter definierten Bedingungen von leicht versetzten
    Standpunkten („Stereobasis“ genannt) aus aufgenommen wurden, miteinander
    verglichen. Die gewonnenen Werte ermöglichen die Ermittlung des
    Abstands jedes Punktes der Szene zur Kamera. Aus den ermittelten
    Tiefendaten können ebenfalls Objekte abgeleitet und deren Bewegung mit
    Hilfe des Kamerasystems verfolgt werden. Sind die Fahrzeug- sowie die
    Objektgeschwindigkeiten hinreichend genau bekannt, wird deren
    Relativgeschwindigkeit zueinander bestimmt. Anhand dieser Größe lässt
    sich anschließend bestimmen, ob sich Straßenbahn und Objekt – sei es ein
    PKW, eine vorausfahrende Bahn oder ein Mensch – einander annähern und
    damit die potentielle Gefahr eines Zusammenstoßes besteht.

    Schnelle Reaktionszeit – ohne Ablenkung und Ermüden

    Der Fahrer hat viel im Blick. Die Straßenbahnen teilen sich in
    Frankfurt oft die Fahrstraße mit den Autos. Oder der Individualverkehr
    kreuzt den Schienenbereich und erzeugt dabei Gefahrensituationen. Dazu
    können stark frequentierte Ein- und Ausstiegssituationen und viel
    Betrieb den Fahrerblick stark fordern. Die Reaktionszeiten verlangsamen
    sich oder Ablenkung verhindert eine schnelle Handlung. In diesen Fällen
    reagiert das System und unterstützt den Fahrer mit einer entsprechenden
    Warnung.

    “Ein Vorteil für unseren Straßenbahn-Betrieb:“, so Michael Budig,
    Geschäftsführer der VGF: „Das Assistenzsystem eignet sich sowohl für
    Neufahrzeuge als auch für den Einbau in ältere Bahnen, da alle
    notwendigen Komponenten und Funktionen im Gesamtsystem integriert sind.
    In Zukunft können so weiterführende Funktionen nutzbar gemacht werden.“
    Zum Beispiel erlaubt das Softwarekonzept die Integration einer
    Ansteuerung für Kurvenlicht, das – analog dem Automobilbereich – bei
    Nachtfahrten den Fahrer bei Kurvenfahrten durch bessere Ausleuchtung des
    Fahrwegs unterstützt. Auch die Auslösung eines „Bodycatchers“, eine Art
    Airbag, ist eine mögliche Erweiterung der Assistenzfunktion.

    Nach einer 12-monatigen aktiven Testphase auf den Frankfurter
    Strecken konnte dem System in enger Abstimmung mit der Technischen
    Aufsichtsbehörde die Zulassung des Systems für den Betriebseinsatz am
    25. Juni 2015 erteilt werden. Dies ist weltweit einmalig, somit fahren
    bald die ersten Bahnen mit Fahrerassistenzsystemen zur
    Kollisionsvermeidung in Frankfurt.

    Verkehrsdezernent Stefan Majer: „Ein Novum im Bereich des
    schienengebundenen öffentlichen Personennahverkehrs. Ich freue mich,
    dass Frankfurt hier wieder einmal eine führende Rolle einnimmt und sehe
    es als besondere Leistung der VGF solche Entwicklungen innovativ und
    aufgeschlossen mitzuentwickeln.“

    Aktuell ist der Fahrerassistent nun erstmals in der Lage, auf
    indirektem Weg in die Fahrzeugsteuerung einzugreifen. Möglich wird der
    Bremseingriff durch Öffnen der so genannten SIFA-Schleife. Diese
    Sicherheitsfahrschaltung (SIFA) ist bei normaler Fahrt geschlossen, zum
    Beispiel durch dauerhafte Betätigung eines Tasters durch den Fahrer.
    Sollte er handlungsunfähig sein und den Taster nicht mehr drücken,
    öffnet sich die Schleife, die Straßenbahn bremst automatisch.

    Das Fahrerassistenzsystem wurde basierend auf der bei der VGF
    gelaufenen Testphase genau mit diesem Wirkpfad verbunden: Erkennt der
    technische Assistent eine Kollisionsgefahr, öffnet das
    Stereovision-System eigenständig durch ein Relais diese SIFA-Schleife
    und gibt parallel dazu ein akustisches Warnsignal. Der Fahrer kann dann
    den vor der Bahn liegenden Streckenabschnitt nochmals überblicken und –
    im Falle einer gefährlichen Verkehrssituation – die Bahn durch Bremsung
    zum Stillstand bringen. Bei einer Fehlauslösung kann er den anstehenden
    Bremsvorgang des FAS abbrechen.

    Erste Flotte in Deutschland

    Nach Freigabe durch die Technische Aufsichtsbehörde ist mit dem Wagen
    Nr.272 nun die erste Straßenbahn mit FAS im regulären Betrieb. Sie wird
    momentan zur Schulung des Fahrdienstes eingesetzt. Danach wird die VGF
    ihre weiteren 73 „S“-Wagen mit dem neuen Assistenzsystem ausrüsten – die
    Frankfurter Flotte wird damit die erste sein, die vollständig mit
    dieser neuen Sicherheitstechnik ausgestattet sein wird. Diese
    Nachrüstung wird bis Dezember 2016 dauern.

    Quelle: vgf-ffm.de