Besonders gut gefällt mir der Beitrag des (anonymen) Kundenlenkers. Im Anschluss gebe ich gerne auch noch meinen Senf dazu:
Zitat
Mir ist es zu einfach, wenn wir Andreas Meyer und seinen Leuten die ganze Schuld geben. Der Bundesrat und das Parlament wollten, dass die SBB wie ein hundskommunes Unternehmen funktioniert: gewinnorientiert. Also will unsere Geschäftsleitung den ganzen Laden schlanker machen und sparen. Das klingt gut, funktioniert aber nicht. Weil die Bahn ein großes Räderwerk ist. Wird ein Zähnchen eines Rads rausgeschlagen, dann ist das kein Problem. Sind es aber viele, weil die Leute wegrationalisiert wurden oder aus Frust die Bahn verlassen, dann beginnt die Maschine zu stottern.
Gewinnorientierter service public. Tja, wie oft hört man in letzter Zeit europaweit diesen Widerspruch... Aber genau dort liegt auch meiner Meinung nach der Hase im Pfeffer. Da denkt man ja direkt an Privatisierung.
Die Realität ist natürlich (zumindest dem Anschein nach) komplexer. Es redet bislang niemand (ausser in Ausnahmefällen wie Grossbritannien in den 80ern und 90ern) direkt von der Abschaffung oder vollständigen Privatisierung von gewissen öffentlichen Dienstleistungen, z.B. im Bereich Transport (Bahn, Bus), Energie, Wasserversorgung etc.
Stattdessen kommt der Wandel in den meisten entwickelten Ländern Europas eher schleichend. Man spricht von "mehr Effizienz", "Modernisierung" oder "Markt-Liberalisierung". Das Grundprinzip bleibt aber gleich: öffentliche Dienstleistungen werden teilprivatisiert oder zumindest bezüglich ihres "Geschäftsmodells" stark umgekrempelt und möglichst profitabel gemacht. Bislang übrigens ohne, dass sich die Bevölkerung gross zur Wehr gesetzt hätte. Vielleicht auch genau deshalb, weil der Wandel eher schleichend kam/kommt und sich erst über 5, 10 oder sogar 20 Jahre richtig bemerkbar macht.
Natürlich ist nicht alles am gewinnorientierten Modell schlecht. Es kann unter Umständen gut funktionieren. In Italien scheint die Marktöffnung des Hochgeschwindigkeitsverkehrs unter strikten Bedingungen tatsächlich zu tieferen Preisen und einer Verlagerung vom Luftverkehr auf die Schiene geführt zu haben. Aber auch dieser Wahlsieg der Marktöffnung ist mit Vorsicht zu geniessen. Es gibt, wie so oft, Beschwerden von schlechten Arbeitsbedingungen, Personalmangel und es bleibt nicht zuletzt immer noch grundsätzlich die Frage, ob diese Verlagerung mit einem einzigen öffentlichen Betreiber trotzdem grösstenteils geschehen wäre, zumal ja eben nicht bereits existierende Streckenabschnitte neu dem Markt geöffnet wurden, sondern die Marktöffnung mit der Eröffnung der brandneuen Hochgeschwindigkeitsstrecken einher ging.
Ich kenne die Antwort auf diese Fragen nicht. Aber was ich weiss, ist, dass immer mehr Leute daran zu zweifeln beginnen, ob mehr "Effizienz" oder "Profitwahn" überhaupt irgendwas bei öffentlichen Dienstleistungen zu suchen haben. Wäre es nicht besser wenn man sich darauf einigen würde, gewisse Teilbereiche des öffentlichen Lebens nicht dem freien Markt zu überlassen, sondern vollständig öffentlich zu tragen?
Im Gespräch mit vielen Eisenbahnlern oder Wirtschafts- und Politikinteressierten bin ich immer wieder zum Schluss gekommen, dass erstaunliche Viele sich wieder eine klarere Trennung zwischen Staat und Wirtschaft wünschen würden. Heisst, man sollte als Gesellschaft bestimmen, welche Teilbereiche öffentlich getragen werden und der Rest wird dem Markt überlassen. Halbe Sachen (public private partnerships oder das profitorientierte Geschäftsmodell bzw. der Sparwahn einiger öffentlichen Institutionen) gefallen den allerwenigsten.
Übrigens, diese Kritik am heutigen System hat weder etwas mit Sozialismus, noch ungezügeltem Freimarkts-Kapitalismus zu tun. Im Gegenteil, Viele mit denen ich gesprochen habe, wünschen sich zwar etwas weniger Bürokratie oder Staatseingriffe im Hinblick auf kleinere Betriebe oder Gründung neuer Firmen, möchten aber wie schon gesagt keine "halben Sachen" bei öffentlichen Dienstleistungen sehen. Ich glaube die Richtung, welche die SBB unter Andreas Meyer bzw. eigentlich bereits seit 1999 eingeschlagen haben, dürfte also nur den allerwenigsten gefallen...