Grosse Aufgabe für einen Bähnler mit baldigem Ablaufdatum
Die SBB brauchen einen Chef, der den Goodwill der Bahnkunden und der Politik zurückgewinnt. Vincent Ducrot ist zuzutrauen, dass er als Übergangschef nach der stürmischen Ära von Andreas Meyer die Bahn auf ihre Kernaufgabe fokussiert.
Vincent Ducrot ist ein Bähnler von altem Schrot und Korn.
Anthony Anex / Keystone
Für einmal sind die SBB überaus pünktlich. Sie haben es geschafft, den Namen für den Nachfolger des zurücktretenden CEO Andreas Meyer nach Fahrplan noch vor Weihnachten zu präsentieren. Dass bei der nicht einfachen Suche zeitgerecht jemand gefunden wurde, der bereits im Frühling übernimmt, ist eine gute Nachricht. Und dass es Vincent Ducrot ist, zeigt, dass der Verwaltungsrat ein gutes Sensorium dafür hat, was für das Unternehmen nach der stürmischen Ära Meyer nun vordringlich ist. Der prestigeträchtige und fürstlich honorierte Posten des SBB-Bosses ist zwar begehrt, aber die Auswahl an geeigneten Köpfen ist letztlich doch klein, denn der Job ist sehr anspruchsvoll, und die Bahn kämpft derzeit mit vielen ernsten Problemen. Vincent Ducrot ist fast so etwas wie das Gegenstück zu Meyer, und das brauchen die SBB jetzt.
Ducrot ist ein Bähnler von altem Schrot und Korn und ist bei den SBB noch in der Ära von Meyers Vorgänger Benedikt Weibel gross geworden. Der Elektroingenieur und Betriebswirtschafter war achtzehn Jahre bei den SBB, leitete von 1999 bis 2011 den Bereich Fernverkehr, dann interimistisch den ganzen Personenverkehr und hatte dabei auch schwierige Aufgaben wie den Problemzug Cisalpino zu meistern. Er ist seit acht Jahren operativ verantwortlich für die Freiburgischen Verkehrsbetriebe und Vizepräsident des Verbands öffentlicher Verkehr. Er kennt damit die SBB wie seine Westentasche, ist in der Branche bestens vernetzt und weiss auch, wie mit dem Bund als Eigentümer, mit den Politikern als Geldgebern und mit den Kantonen als Bestellern von Bahnleistungen umzugehen ist. Gleichzeitig gehört er zu den eher zurückhaltenden Schaffern ohne Starallüren und verkörpert auch damit das Gegenteil des charismatischen Selbstdarstellers Meyer.
Meyer hatte die SBB vom behäbigen Staatsbetrieb umgeformt zum modernen, effizienten Mobilitätsunternehmen. Dabei brachte er grosse Dynamik ins Unternehmen, riss viele Reformen und Projekte an, vernachlässigte aber auch manches. Der Unterhalt der Infrastruktur hielt lange nicht Schritt mit dem Ausbau des Angebots, so dass sich riesiger Nachholbedarf aufstaute. Die Rekrutierung von Lokführern wurde verschlafen. Die Pünktlichkeit der Bahn nahm spürbar ab und die Platznot in Pendlerzügen zu. Der tödliche Unfall von Baden brachte systematische Mängel bei der Türschliessung und Versäumnisse beim Unterhalt der Züge an den Tag. Die Beschaffung des Fernverkehrs-Doppelstockzugs FV-Dosto, die Vincent Ducrot übrigens mitverantwortet, wurde zum Dauerdrama. Das Image der SBB hat durch all diese Versäumnisse bei den Bahnkunden stark gelitten, und auch bei der Politik ging viel Goodwill verloren.
Dies ist nun die Herausforderung für den Neuen: Er muss das Vertrauen zurückgewinnen, indem er den Fokus auf das legt, was die Hauptaufgabe der SBB ist – die mobilen Massen tagtäglich sicher, pünktlich, bequem und zu tragbaren Preisen zu befördern. Nach dreizehn dynamischen Jahren mit Meyer brauchen die SBB nun eine Phase der Konsolidierung, in der sie sich auf ihre Uraufgabe zurückbesinnen und die versäumten und aufgestauten Aufgaben abarbeiten. Dass Ducrot dies kann, ist ihm zuzutrauen. Und dass er die Aufgabe im Alter von 57 übernimmt, ist auch Garantie dafür, dass nach einer Konsolidierungs- und Übergangsphase auch wieder eine Zeit der grossen visionären Würfe kommen kann.