SBB - IT Projekt Personalsystem

  • SBB leistet sich Millionen-Flop mit IT-Projekt

    Verzögerungen, Mehrkosten, Fehler: Ein teures Personalsystem sorgt bei den Bundesbahnen für Wirbel.

    Zitat

    Stellen Sie sich vor, Sie erscheinen am Morgen zur Arbeit und finden auf dem Bildschirm folgende Warnung vor:
    «Ihr Ferienguthaben ist komplett aufgebraucht, darüber hinaus haben Sie in den letzten Jahren 390 Minusstunden angehäuft, die Sie nun aufholen müssen.»
    Was wie ein schlechter Traum klingt, ist für zahlreiche SBB-Mitarbeiter Realität geworden.

    Grund dafür ist das neue IT-System Sopre der irischen Firma Accenture,
    das die Bundesbahnen für die Einteilung des Personals angeschafft haben.
    Ursprünglich anberaumte Kosten: 18,8 Millionen Franken.
    Verzögerungen und Probleme treiben die Kosten jedoch laufend in die Höhe.
    «Die Beschaffung des Programms ist ein Desaster», sagt ein SBB-Mitarbeiter, der anonym bleiben will, zu 20 Minuten.
    Intern sei bereits von einem handfesten Beschaffungsskandal die Rede.

    «Bedeutende Probleme»

    Pascal Fiscalini, Vizepräsident des SEV-Zugpersonalverbands der Schweiz, bestätigt:
    «Das System funktioniert, gelinde gesagt, ziemlich unzuverlässig.»
    Bereits vergangene Woche hat der Verband eine Online-Warnung aufgeschaltet: «Wichtig!», heisst es darin.
    Seit der Einführung des Systems seien einige «bedeutende Probleme ans Tageslicht» gekommen.

    Laut Fiscalini sollte das System die Arbeitszeiterfassung direkt mit den Fahrplänen synchronisieren.
    «Hat ein Zug beispielsweise Verspätung, müsste die Mehrarbeit der Mitarbeiter entsprechend automatisch vergütet werden.»
    Das funktioniere aber oft nicht.
    Der Verband empfiehlt dem Personal deshalb, vorübergehend Überstunden von Hand aufzuschreiben.
    Manuel Avallone, Vizepräsident der Gewerkschaft SEV, sagt:
    «Es ist für das Personal natürlich mühsam und zeitaufwendig,
    wenn trotz teuren Einteilungssystemen noch Schattenrechnungen angestellt werden müssen.»
    Man habe mit den SBB seit längerem «ein Riesen-Gstürm» deswegen.

    SBB: «Komplexität wurde unterschätzt»

    Wegen der Probleme verzögerte sich die Lancierung des Systems wiederholt.
    «Die Software Sopre erwies sich bis heute als ein Flop und kann noch nicht eingesetzt werden»,
    hiess es etwa in einem Jahresbericht des Rangier-Personals von 2013.
    Inzwischen wird das System bei den 2200 Mitarbeitern des Zugpersonals angewandt,
    dazu kommen die Mitarbeiter von Tochtergesellschaften wie Thurbo oder Tilo.
    Die 2600 Lokführer sollen wegen der technischen Schwierigkeiten hingegen erst nächsten Sommer integriert werden.
    Wie viel Geld all die Nachbesserungen kosten werden, weiss Pascal Fiscalini nicht. Aber:
    «Es kursieren haarsträubende Zahlen.»

    SBB-Sprecherin Franziska Frey räumt ein: «Die Komplexität des Gesamtprojektes wurde zu Beginn von unserer Seite unterschätzt.»
    Deshalb erfolge die Einführung etappenweise, was ursprünglich nicht so geplant gewesen sei.
    Verschiedene Faktoren wie «ein grosser technischer Integrationsgrad» hätten «nicht nur zu einer Verzögerung des Projektes,
    sondern auch zu Mehrkosten geführt». Wie hoch letztere ausfallen, wollte Frey mit Verweis auf das noch laufende Projekt nicht sagen.

    Entwicklung in Asien

    Klar ist: Ein Zurück gibt es nicht. Das alte Personaleinsatzplanungssystem sei nach 16 Jahren am Ende seiner Lebensdauer angelangt
    und könne nicht mehr auf zukünftige Anforderungen angepasst werden, sagt Frey.
    Inzwischen sei das System, abgesehen von «einzelnen Startschwierigkeiten», «grundsätzlich auf Kurs».

    Bei der Ausschreibung des Auftrags 2010 hat das wirtschaftlich günstigste Angebot den Zuschlag erhalten
    – so sieht es die Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen vor.
    Der Auftrag ging an die Schweizer Niederlassung der Firma Accenture.
    Das System wurde teilweise in Asien entwickelt, andere Projektarbeiten wurden in den Niederlanden erledigt.
    Heute sei es im IT-Bereich «gang und gäbe, für gewisse Arbeiten Fachkräfte aus dem Ausland respektive aus Übersee beizuziehen», sagt Frey.
    Die Frage, ob der Zuschlag rückblickend besser an einen anderen Anbieter gegangen wäre, lasse sich nicht beantworten.
    «Eine Äusserung dazu wäre reine Spekulation.» Accenture nahm keine Stellung.

    20min 28.07.2016

  • Politiker wollen von den SBB Zahlen sehen

    Die SBB sollen die Kosten des Problemprojekts Sopre offenlegen, fordern Finanzpolitiker.
    Die Pendler hätten das Recht auf Transparenz
    .

    Das Informatikprojekt Sopre der SBB sorgt wegen Verzögerungen und technischer Probleme für Aufruhr.
    Recherchen von 20 Minuten zeigen, dass das Personalprogramm trotz jahrelanger Nachbesserungen fehleranfällig bleibt.
    Der Zugpersonalverband geht von Mehrkosten in «haarsträubender» Höhe aus – doch die SBB schweigen sich über die Höhe der Kostenüberschreitung aus.

    Für den Luzerner FDP-Nationalrat Albert Vitali ist klar: «Die SBB müssen nun Zahlen liefern –
    sie sind schliesslich nicht irgendein privatwirtschaftliches Unternehmen, sondern im Besitz des Bundes.»
    Falls die Verantwortlichen nicht von sich aus kommunizierten, müsse Verkehrsministerin Doris Leuthard aktiv werden.
    «Die Steuerzahler haben das Recht zu wissen, was vor sich geht.»

    SBB sollen sich «kritischen Fragen» stellen

    Auch SVP-Nationalrat Franz Grüter, Co-Präsident der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit, sagt:
    «Die SBB müssen sich kritische Fragen gefallen lassen.»
    Es gehe nicht, dass die Bundesbahnen die wahren Kosten eines solchen IT-Projekts verschwiegen.
    «Hier herrscht aus meiner Sicht zwingend eine Transparenzpflicht.»

    Grüter, der wie Vitali in der nationalrätlichen Finanzkommission sitzt, zeigt sich generell besorgt über die «vielfach schlechte Projektführung»
    bei IT-Projekten des Bundes und von bundesnahen Betrieben.
    «Leider mehren sich die Fälle, in denen es zu Verzögerungen und Mehrkosten kommt.»
    Oft schauten die zuständigen Verwaltungsstellen zu lange zu, bevor sie Alarm schlügen.
    «Dabei wäre es ihre Aufgabe zu sagen: Stopp, da läuft etwas aus dem Ruder.»

    Seit dem Fall Insieme, für den die Eidgenössischen Steuerverwaltung über 100 Millionen Franken in den Sand gesetzt hat,
    schauen die Politiker den Verantwortlichen genauer auf die Finger.
    «Bei Schlüsselprojekten des Bundes lassen wir uns rapportieren, wie der Status ist – grün, orange oder rot», so Grüter.
    Allerdings sei es unmöglich, jedes Projekt im Detail zu überwachen. Klar ist für ihn:
    «Sollten die Kostenüberschreitungen sehr hoch ausfallen, so muss dies klare Konsequenzen haben.»

    Leuthard sieht sich nicht zuständig

    Kurt Schreiber, Präsident der Kundenvereinigung Pro Bahn, verweist darauf,
    dass es auch in anderen Branchen regelmässig zu Problemen mit Informatikbeschaffungen komme.
    «Wichtig ist aus meiner Sicht, dass man mit offenen Karten spielt, falls so etwas passiert.»
    Auch wenn die Bahnkunden nicht direkt von den Fehlern des Personalsystems betroffen seien, tue die SBB gut daran, klar zu informieren.
    Dies gelte selbst für den Fall, dass die Kosten fünfmal so hoch ausfallen wie ursprünglich geplant. «Geheimniskrämerei nützt niemandem etwas.»

    Laut SBB sind die zusätzlichen Aufwände nicht nur aufgrund von Verspätungen und der Komplexität des Projektes entstanden,
    sondern auch, weil noch Funktionen dazugekommen seien. Diese Zusatzfunktionen brächten «einen klaren Mehrwert».
    Über die Kostenüberschreitungen wollen die Bundesbahnen nicht vor Abschluss des Projekts Ende 2017 informieren.
    Beim Departement von Verkehrsministerin Leuthard heisst es auf Anfrage,
    der Bundesrat steuere die bundesnahen Unternehmen mit strategischen Zielen.
    «Für die operative Tätigkeit sind die Unternehmen verantwortlich.
    Dazu gehören auch Informatikprojekte.»

    20min 29.07.2016