Combino-Podium am 20.09.04

  • Das Combino-Debakel und die Zukunft der Strassenbahn 

    organisiert durch die Grüne Partei

    Montag 20.09.04 19:30h im Grossen Saal Cafe Spitz


    Einführung von Winfried Wolf (Verkehrswissenschaftler Dr. phil.) Autor der Bücher "Eisenbahn und Autowahn"
    und "Combino - Das absehbare Desaster der Siemens-Niederflurbahn" (Erscheint im Oktober)

    Anschliessend Gespräch mit den Podiumsteilnehmern und dem Publikum.

    Auf dem Podium:

    Anita Lachenmeier (Grüne, VR BVB)
    Eric Grasset (Vize TPG, Genf)
    Moderation: Beat Leuthardt (Wagenführer, Mieterverband)

  • Interview mit dem Podiumsteilnehmer Winfried Wolf:

    Winfried Wolf :«Aluschrott statt Trams»
    Das Combino-Desaster ist noch in frischer Erinnerung, ein Sanierungskonzept wurde von der Herstellerin Siemens bis jetzt noch nicht veröffentlicht. Ein Kritiker von Siemens und Combino ist Verkehrsexperte Winfried Wolf. Er sass bis 2002 für die PDS im deutschen Bundestag und war deren verkehrspolitischer Sprecher. Zurzeit schreibt er an einem Schwarzbuch über den Combino.
    Baslerstab: Winfried Wolf, ihr Buch soll den Titel «Combino – das absehbare Desaster der Siemens Niederflur-Strassenbahnen» tragen. Wieso war das Desaster absehbar?
    Winfried Wolf: Es gab im Vorfeld des Combino-Einsatzes von Fachleuten – darunter dem Verkehrsexperten Harry Hondius – durchaus kritische Analysen. Nach einer ersten Probefahrt von Hondius im Sommer 1996 schrieb dieser betont zurückhaltend: «Die ersten Fahreindrücke waren sicherlich nicht ungünstig. Hoffen wir, dass wir mit der Zeit positiv über Betriebserfahrungen berichten können.» Kurz darauf – ab Ende 1996 – äusserte sich Hondius nur noch positiv zum Combino. Inzwischen arbeitete er als Verkehrsberater für die Potsdamer Verkehrsbetriebe. Diese erteilten im Dezember 1996 den ersten Combino-Grossauftrag. Die geforderten «Betriebserfahrungen» hätten im Fall von Trams jedoch bedeutet, dass man einige 100 000 Kilometer fahren muss, um Erfahrungen zu sammeln. Solche Betriebserfahrungen lagen jedoch nicht vor, als der Vertrag in Potsdam geschlossen wurde.
    Nun gabs dieses «Combino-Grounding». War das Desaster in diesem Ausmass wirklich absehbar?
    In diesem Ausmass ist das wohl einmalig in der Tram-Geschichte. Aber es gab Treffen der Verkehrsunternehmen mit Siemens. Beispielsweise im Dezember 2003 im Frankfurter Sheraton-Hotel. Dort war bereits ein auswärtiger Sachverständiger vertreten, Ulrich Hachmann. Er hatte schon damals festgestellt, dass es «katastrophale Risse in Schwenk-konsolen geben» würde. Viele schwer wiegende Mängel waren den Verkehrsbetrieben bekannt. Zumal in Basel im Sommer 2003 – so damals BVB-Sprecher Pius Marrer – bei allen Combinos «an 28 Stellen Risse zugeschweisst» und «Schrauben zur Verstärkung» eingezogen wurden. Wenn man solche Sachen bei relativ neuen Strassenbahnen konstatiert, dann ist klar, dass etwas Grösseres im Anmarsch ist.
    Was raten Sie den betroffenen Verkehrsbetrieben?
    Erstens Aufklärungsarbeit. Das ist das Gegenteil von dem, was in der neuen Ausgabe der «BVB-Facts» steht. Dort wird beschönigt. Es heisst, man würde einer finalen Sanierung zustreben. Das halte ich für völligen Quatsch – es gibt keine Sanierung. Siemens hat ein halbes Jahr nach dem Grounding immer noch keinen überzeugenden Sanierungsplan vorgelegt. Zweitens muss Siemens in vollem Umfang verantwortlich gemacht werden. Die Firma hat 80 Milliarden Euro Umsatz und 2,7 Milliarden Gewinn gemacht. Da ist der Gesamtschaden von einer Milliarde verkraftbar. Siemens ist verantwortlich, weil sie keine funktionierende Strassenbahn geliefert haben, sondern prospektiv wohl eher Aluschrott. Drittens muss man alles tun, um Schaden von den öffentlichen Verkehrsbetrieben und den Kommunen abzuhalten. Die Gefahr besteht, dass das Revival der Trams gestoppt wird.
    Welche Zukunft sehen Sie für Trams?
    Trams erlebten jahrzehntelang wenig Entwicklung, weil man sie zum alten Eisen erklärt hatte. Dann gab es seit Mitte der 80er Jahre ein Revival. Das hat bewirkt, dass es fantastische neue Entwicklungen gab. Dazu gehört sicher auch die Niederflur-Technik. Es gibt kaum eine bequemere und sicherere Transportweise unter den motorisierten Verkehrsarten in Städten.
    Interview: Ralph Schindel / Baslerstab